Lebe jeden Tag so, als wäre es Dein Letzter…

… mal im Ernst. Diese Einstellung ist ja ganz toll. Ich beneide die, die das können. Ich kann das nicht. Ich bin auf jeden Fall dafür, das Leben zu geniessen mit all seinen Höhen und leider auch Tiefen. Mit all den Blümchen, Sonnenauf- und untergängen, Regenbögen und Einhörnern. Mit all dem „Rosa-Wolken-Zeugs“ und allem grundsätzlich Schönem. Keine Frage ich bin irgendwie gern hier und so scheisse manchmal auch alles ist, geht es mir doch wirklich gut und kann mich eigentlich nicht beklagen.
Spinnen wir doch mal dieses Gedankenkonstrukt ein bisschen weiter. Also wenn heute mein letzter Tag auf Erden wäre, dann hätte ich jetzt noch knapp eine Stunde und ich hätte heute gearbeitet wie doof, wäre irgendwann nach Hause gekommen, hätte was gegessen und nachher geh ich ins Bett und das war’s.
Ok ok. Malen wir mal nicht ganz so schwarz. Gehen wir mal davon aus ich wüsste heute, dass morgen mein letzter Tag wäre, was würde ich tun? Ich wollte schon immer mal nach Hawaii. Bis ich da ankomme sind ca. 25 Stunden vorbei, also hat sich das auch schon erledigt. Ich würde mich also auf den Weg machen und meine Familie besuchen, ok. Das wäre machbar. Nicht zur Arbeit, alles einfach so zurück lassen, kein Ding. Ich hab keine Haustiere und meine Pflanzen sind ohne mich wahrscheinlich eh besser dran. Und dann? Nochmal shoppen gehen? Wofür? Ich brauch es dann ja nicht mehr. Gut, ich würde mein Erspartes zwischen meiner Mom und meinem Patenkind aufteilen. Dann hat noch jemand was davon. Ich würde schnell noch alle meine Passwörter aufschreiben und ein kurzes Testament hinterlassen. Vielleicht noch ein Buch lesen? Wofür? (Und ich lese viel zu langsam.) Die letzte Zeit mit meiner Familie und Freunden verbringen! Und dann? Ganz ehrlich, ich hätte Angst und ich könnte mich garantiert nicht entspannen, geschweige denn diesen einen besagten letzten Tag geniessen. Panik würde sich breit machen. Aber so richtig. Was passiert dann?
(Das soll hier jetzt keine philosophische Abhandlung über ein eventuelles Leben nach dem Tod werden, dafür gibt es andere Experten.)
Nun gut. Jetzt gehen wir mal davon aus, ich wüsste im Voraus, dass irgendwann mein letzter Tag wäre, das wäre natürlich schon ganz etwas anderes. Es würde eine riesen Abschiedsparty geben. Ich würde alles daran setzen meine Lieben noch einmal zusehen und so richtig zufeiern. Ich würde mich betrinken, all mein Geld auf den Kopf hauen (so für zwei, drei Tage würd’s schon reichen) und eventuell doch nochmal nach Hawaii fliegen, oder Tokio oder Mexiko. Aber würde ich es geniessen? Sicher nicht, denn ich wüsste ja, dass es dann an diesem einen bestimmten Tag vorbei wäre. Panik!
Ich wäre wahrscheinlich so damit beschäftigt alles Unerledigte zu erledigen, dass niemand hinter mir aufräumen müsste. Wer kann denn da noch von geniessen reden?
Und wenn ich jetzt mit dem Wissen, dass irgendwann mein letzter Tag ist, und der wird kommen früher oder später, alles verkaufe und mich irgendwohin absetze, vielleicht noch einmal Lotto spiele mit der Hoffnung auf den grossen Gewinn, dann hocke ich auf einer Insel, dem Paradies auf Erden, und warte auf DEN letzten Tag. Ehm??? Und wo bleibt da der Genuss und die Entspannung?
Klar, man könnte gut Essen gehen, einen guten Wein trinken oder sonst was machen. Aber was wenn der nächste Tag dann wieder da ist und es weiter geht? Und wie lange geht es womöglich weiter?
Nun bin ich ja zum Glück nicht die einzige hier und angenommen jeder würde so denken und handeln. Keiner würde mehr arbeiten, alle verlangen nach gutem Essen und wollen sich bedienen lassen, von Menschen, die eventuell auch ihren letzten Tag haben. Aber wer macht denn das noch? Und die Ungewissheit wie viele Tage noch kommen macht das Ganze nicht besser. Die Rechnung geht irgendwie nicht auf. Irgendwann ist das Geld verbraucht und womöglich sind dann noch so viele Tage übrig. Ok. Ein Kredit aufnehmen
„Tschuldigung Herr Bankdirektor, ich hätte gern mal ne Million, denn ich weiss nicht wann mein letzter Tag ist und will aber jeden der bis dahin kommt in vollen Zügen geniessen.“ Ja ne is klar.
Nun kommen die Oberschlauen, die sagen, dass man gar kein Geld brauchen würde, wenn man sich selbst versorgt und z.B. mit der Natur im Einklang lebt. Ja, geb ich Euch Recht. Aber ich bin nicht so. Ich bin in dieser Welt aufgewachsen – mit Geld, Wirtschaft, Politik, Gesetzten und Regeln usw. Und für mich wäre es dann kein geniessen mehr wenn ich alles selbst machen müsste.
Wenn ich jeden Tag also so leben sollte, in Angst davor was kommt oder eben nicht, in Panik davor, dass ich nicht alles schaffen könnte was ich mir vorgenommen hab, mit Schrecken am Morgen aufwachen und wieder denken „Noch ein Tag in Angst“, dann mach ich doch lieber so weiter wie bisher.
Und so komme ich zu dem Schluss, dass ich nicht jeden Tag geniesse, als wäre es mein Letzter, sondern geniesse das ganze Leben, welches mir gegeben wurde, mit all den Höhen und Tiefen und versuche das Beste draus zu machen. Und so scheisse manchmal auch alles sein kann, lebe ich auch die dunklen Momente, denn nach der Dunkelheit geht bekanntlich meistens die Sonne auf.
Ich buche noch heute einen Flug nach L.A. – in 6 Monaten. Mache Pläne für die Zukunft, die vielleicht schon morgen vorbei sein könnte und denke nicht daran, dass es morgen vielleicht schon vorbei sein könnte.

Also lebt Euer Leben als wäre es das letzte auf Erden…

Gute Nacht und bis morgen
Katrin

(2012)